Dresdner Freunde in schwerer Zeit

Verschüttete Freundschaft

Herbert Wehner und Bruno Goldhammer

Von Christoph Meyer, Historiker und Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung

Bruno Goldhammer 1957 in seiner letzten Arbeitsstelle bei Zeit im Bild (ZIB) Dresden (Nachlass Bruno Goldhammer, Privatarchiv, Dresden)

„Herbert Wehner? Aber von dem hat doch dein Vater seinen Vornamen!“ Peter Goldhammer staunt nicht schlecht über diesen Satz, im Gespräch von seiner über 90-jährigen Großtante geäußert. Die Freundschaft von Goldhammers Großvater Bruno zu Herbert Wehner war zu DDR-Zeiten Tabu in dessen Familie, erst nach und nach kommt sie ans Licht, und bis heute ist noch nicht alles bekannt. Der Enkel ist mitten dabei zu recherchieren.

So hat der 64-Jährige Dresdner Peter Goldhammer im Herbst 2023 den Kontakt zur Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung gesucht. Am Stiftungssitz, in Greta Wehners historischer Wohnung, trifft er sich zum Austausch mit mir. Zwischen Büchern und Erinnerungsstücken fügen wir erste Puzzleteile zusammen.

Bei den Recherchen zu meiner Herbert-Wehner-Biographie bin ich insgesamt an fünf Stellen markant auf Bruno Goldhammer gestoßen. Hier nun das vorläufige Ergebnis der Recherche und des Gesprächs Meyer-Goldhammer:

Bruno Goldhammer, Jahrgang 1905, war kommunistischer Jugendfunktionär in Berlin und in Dresden. Er stammte aus einer Dresdner jüdischen Kaufmannsfamilie, kam ebenso wie Herbert Wehner, allerdings einige Jahre früher, über den Anarchismus zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), wo er in Dresden schon bald Führungsposten übernahm. Nach eigener Aussage kannte Goldhammer Herbert Wehner seit 1925. Ab 1927 wirkten beide gemeinsam in der Dresdner KPD.

Am Sitz der Arbeiterstimme in Dresden, um 1929 (Sammlung Dresden, Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung)

Die erste Spur Wehner-Goldhammer: In den Jahren 1928 bis 1930 haben beide in der Leitung der KPD Ostsachsen mitgearbeitet. Goldhammer war Redakteur der sächsischen kommunistischen Zeitung „Arbeiterstimme“, für welche auch Herbert Wehner in jener Zeit zahlreiche Berichte geschrieben haben hat. Als Goldhammer dann zu einem Jahr Festungshaft in Auerbach (Vogtland) verurteilt wurde, verlas Herbert Wehner auf dem Dresdner Landesparteitag von 1930 ein Grußwort des Gefangenen. Den ausführlichen Bericht in der „Arbeiterstimme“, aus dem diese Information stammt, schrieb wahrscheinlich ebenfalls Herbert Wehner.[1]

„Festungshaft 1930 Auerbach i.V.“, v.l.n.r.: Willi Firl, Uli (?) Zillich, Bruno Goldhammer, Ernst Hauschildt, Carl Bobach, Rudi Keller (Nachlass Bruno Goldhammer, Privatarchiv, Dresden)

Die zweite Spur Wehner-Goldhammer führt ins Exil, nach Prag. Dort wohnte der Emigrant Bruno Goldhammer als Mitglied der Emigrationsleitung der KPD in einem Hotel, als er 1935 Herbert Wehner und seine Lebensgefährtin Lotte Treuber traf. Wehner befand sich am Vorabend seiner Abreise nach Deutschland, wo er als Illegaler die KPD-Organisation in Berlin wiederaufbauen sollte. Doch just nach jener Nacht fand im Hotel eine routinemäßige Razzia der Polizei statt; beide wurden verhaftet. Das rettete wahrscheinlich Wehners Leben, denn die anderen Genossen, die am nächsten Tag nach Berlin fahren sollten, wurden alle in Deutschland gefasst und später getötet. In Prag dagegen ging es vergleichsweise human zu, auch wenn die Haftbedingungen alles andere als komfortabel waren. Nach einigen Monaten schoben die tschechoslowakischen Behörden den kommunistischen Funktionär (ohne sein Zutun) über Polen in die Sowjetunion ab. Dort wurde Herbert Wehner im Herbst 1935 zum Mitglied des Zentralkomitees der KPD „befördert“.[2]

Der junge Herbert Wehner (um 1925)

Die dritte Spur: Herbert Wehners Verhältnis zu dem inzwischen degradierten Bruno Goldhammer war 1937 Gegenstand der Untersuchung, welche die KPD-Kaderabteilung, ganz im Sinne Walter Ulbrichts, im Zuge der stalinistischen Säuberungen in Moskau durchführen ließ. Gegen 44 inquisitorische Fragen musste Herbert Wehner sich verteidigen. Frage 38 lautete:

„Deine Bekanntschaft mit Goldhammer

  1. Deutschland
  2. Prag und wie schätzt Du ihn ein?“ [3]

Herbert Wehner ließ sich zu keiner Denunziation hinreißen. Seine Antwort endete mit dem Fazit: „Goldhammer, der bürgerlich-jüdischer Herkunft ist, ist meines Erachtens ein der Partei ergebener Genosse. Aus meiner Tätigkeit in Sachsen kenne ich ihn als einen sehr aktiven und festen Propagandisten.“[4]

Die vierte Spur Wehner-Goldhammer stammt aus dem Jahr 1951. Sie bezieht sich aber ebenfalls auf die 1930er Jahre. Herbert Wehner, mittlerweile Sozialdemokrat und Bundestagsabgeordneter, spricht als „Kronzeuge“ im Rundfunksender RIAS Berlin. Sein Thema: Die aktuellen „Säuberungen“ in der ostdeutschen Einheitspartei, welche mit antisemitischen Motiven getränkt sind – und wie SED-Chef Walter Ulbricht seine Machtposition durch Geschichtsfälschungen zu erhärten versucht. Eine Stunde dauert die Radiosendung, und Wehner nimmt sie alle durch, seine ehemaligen Genossen, die Verräter an der Sache der Arbeiterbewegung, welche nun in der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik“ das Sagen haben und welche ihre eigenen Genossen grundlos verfolgen lassen. Die Sendung ist komplett als Bandabschrift erhalten. Goldhammer kommt hier als Funktionär vor, der sich Mitte der Dreißigerjahre im Exil gegen die Zersetzungsarbeit durch die KPD-Apparate in anderen Parteien wie der Exil-SPD gewehrt hat: „Bruno Goldhammer, einer von denen, die vor einigen Monaten ausgeschlossen und verhaftet wurden, kam damals zu einem Mitglied der eben neugewählten Parteiführung der KPD und unterrichtete ihn davon (…)“, so Herbert Wehner, wobei er wahrscheinlich sich selbst meint. Politbürofunktionär Ulbricht, auf den solche beschlusswidrigen Aktionen zurückgehen, nimmt das zum Anlass, sich Goldhammers zu entledigen, meint Wehner: „Es mag hier nur am Rande erwähnt werden, dass der vorwitzige Goldhammer damals sein Beharren auf einem ihm bekannt gewordenen Beschluss, der solche Tätigkeiten untersagte, damit zu büßen hatte, dass man ihn aus der Tschechoslowakei entfernte und ihm auftrug, sein Emigrationsland zu wechseln. Er musste nach der Schweiz, wo er keine Funktionen bekommen sollte. Man avisierte ihn als ein unerwünschtes Element. Er hatte dann auch längere Zeit dort in Internierung gesessen. Diese Episode mag, weil sie bei Ulbricht natürlich nicht vergessen worden ist, mit dazu beigetragen haben, ihn in Ungnade fallen zu lassen, obwohl dazwischen Jahre liegen.“[5]

Die Rote Hilfe Ostsachsens – Herbert Wehners Arbeitsplatz 1928/29

Nach 1936 gibt es keinen direkten Kontakt mehr zwischen Herbert Wehner und Bruno Goldhammer. Die Wege trennen sich. Herbert Wehner kommt über Moskau (1937-1940) und Schweden (1941-1946) in der Sozialdemokratie an, wohnt ab 1946 in Hamburg und wird SPD-Mitglied, Redakteur und ab 1949 Bundestagsabgeordneter. Bruno Goldhammer verlebt den Krieg in der Schweiz. Peter Goldhammer berichtet, dass er ab 1944 „durch einen ‚glücklichen‘ persönlichen Umstand“ die Möglichkeit bekommt, „aller sechs Wochen das Internierungslager wegen ärztlicher Untersuchungen zu verlassen. Dies nutzte er um die Untergrundarbeit gegen Nazideutschland mit der kommunistischen Gruppe des Schauspielhauses Zürich um Wolfgang Langhoff mit zu organisieren.“ Nach dem Krieg geht Goldhammer zunächst nach München, wird dort 2. Sekretär der KPD Bayern und Landtagsabgeordneter. Dann geht er in die DDR, wird SED-Funktionär und arbeitet als Leiter des Nachrichtendienstes beim Berliner Rundfunk in Berlin-Charlottenburg. Im August 1950 schließt die Partei den ehemaligen „Westemigranten“ im Rahmen der letzten stalinistischen „Säuberungen“ aus ihren Reihen aus. Bruno Goldhammer wird inhaftiert und unter dem falschen Vorwurf der Spionage im Rahmen der „Field-Prozesse“ zu zehn Jahren Haft verurteilt. Erst 1956, im Zuge der Entstalinisierung, wird er aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen und rehabilitiert.[6] Über seine Verfolgung durch die eigenen Genossen schweigt er, auch gegenüber seiner Familie.

Herbert Wehner 1957 (auf Plakat des Freundeskreises Herbert-Wehner-Bildungswerk, um 2000)

Die fünfte Spur ist wohl die erstaunlichste: Denn Bruno Goldhammer ist 1971 mit 66 Jahren schon gestorben, als „gebrochener Mann“, wie sein Enkel sich erinnert. Doch zuvor interessiert sich noch einmal das Ministerium für Staatssicherheit, die allmächtige Stasi, für ihn. Es geht um Herbert Wehner; dem wollen die Ex-Genossen eine Kampagne ans Bein heften, möglicherweise gar für den Fall einer Machtübernahme in ganz Deutschland einen Schauprozess gegen den sozialdemokratischen Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen vorbereiten. Und so kommt ein Hauptmann Herzog am 10. März 1967 zum schwer kranken Bruno Goldhammer in dessen Wohnung in „Dresden-A“ (auf dem „Hohen Rand“, wie Peter Goldhammer mitteilt – die Stasi-Unterlagenbehörde hat den Straßennamen in der Akte geschwärzt) und befragt ihn zu seinen Kontakten zu Herbert Wehner. Doch das Interview ist unergiebig, wie der Befrager festhält: „Die Zielstellung der Befragung konnte nicht realisiert werden.“ Goldhammer kann sich an keinen Verrat Wehners erinnern, im Gegenteil, er bescheinigt ihm, ein umsichtiger, meist linientreuer Partei- und Widerstandsarbeiter gewesen zu sein, allenfalls „linksradikale Tendenzen“ seien Wehner nachzusagen gewesen. Wehner, mit dem er seit 1925 eng befreundet gewesen sei, so Goldhammer, „habe sich niemals geschont und sich stets mit seiner ganzen Persönlichkeit für die Partei eingesetzt.“[7]

Beide, Herbert Wehner wie Bruno Goldhammer, haben sich als es darum ging, dass der jeweils andere Repressalien erleiden sollte, solidarisch, anständig verhalten. Beide haben einander nicht denunziert.

Beide, Herbert Wehner wie Bruno Goldhammer, haben in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten Repression, Internierung und Haft erleiden müssen. In der Demokratie der Weimarer Republik kamen beide das erste Mal ins Gefängnis. Dann die Verhaftung in Prag. Bruno Goldhammer wurde in der Schweiz eingesperrt, Herbert Wehner landete in schwedischen Gefängnissen. Bei Bruno Goldhammer kommt noch eine Verhaftung in München (amerikanische Besazungszone) und dann vor allem die sechs Jahre Zuchthaus in der spätstalinistischen DDR hinzu. Beide hatten das Glück, dass die Nazis sie nicht erwischt haben, am Ende hatten beide am meisten unter den Repressalien bzw. Nachstellungen der Kommunisten zu leiden.

Der eine im Westen, der andere im Osten. Das ist der Grund dafür, dass beide einander nicht wiedersahen, dass ihre Freundschaft verschwiegen wurde. Bruno Goldhammer schwieg auch in seiner Familie. So war das in der Deutschen „Demokratischen“ Republik. Herbert Wehner dagegen musste zurückhaltend bleiben bei öffentlichen Äußerungen über seine Freundschaft oder Beziehungen zu Menschen, die in der DDR lebten. Das hätte sie gefährdet. Und so wurde sie verschüttet, die Freundschaft zwischen Bruno Goldhammer und Herbert Wehner.

Der Sohn übrigens, Dr. Herbert Goldhammer, geboren am 3.April 1933, war als sechswöchiges Kleinkind mit seiner Mutter Erna zusammen einer der ersten Häftlinge der Nazis in der Haftanstalt am Münchener Platz in Dresden. Im Gefängnis lernte er das Laufen. Ehe er 2021 starb, ist er aktiv gewesen in der Gedenkstätte Münchener Platz und in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten.

Weitere Familienmitglieder der Goldhammers sind von den Nazis ums Leben gebracht worden, der Urgroßvater schon 1934 in seiner eigenen Wohnung; die zwei Jahre jüngere Schwester von Bruno Goldhammer, Dora Marie und Großtante von Peter Goldhammer, war in den Niederlanden ins KZ Westerbork gekommen; sie starb am 30. September 1942 in Auschwitz.

Nazis zerstören Familien und machen Leben kaputt. Das „Nie wieder!“ soll und muss am Ende einer jeden solchen Geschichte stehen. 2024 sind Wahlen in Sachsen, eine rechtsextremistische Partei liegt in Umfragen vorn. In unserem schönen Land und in den Familien wird viel zu viel geschwiegen über das, was Menschen einander antun, was menschenfeindliche Politik und Gesinnung anrichten. Die Freundschaft von Herbert Wehner und Bruno Goldhammer steht für Menschlichkeit und Solidarität über die politischen Abgründe hinweg. Und dafür, dass alle es – nahezu in jeder Situation – in der Hand haben, menschlich und solidarisch zu handeln.

Veröffentlicht auf www.hgwst.de am 23. Dezember 2023, dem 105. Geburtstag von Helmut Schmidt und zugleich 6. Todestag von Greta Wehner. Greta hätte sich über diese Art des Gedenkens gefreut. Ich schließe mit einem Zitat von Ihr, sie schreibt, im Jahr 2007: „Es gibt in unserer Welt auch heute an vielen Orten schlimme Zustände und Entwicklungen. Dieses zu sehen, ist der erste Schritt, um das Wenige, das der Einzelne tun kann, anzupacken. Der erste Schritt kann die Bereitschaft sein, dem Menschen zu helfen, der neben uns zu kurz kommt.“

Allen Leserinnen und Lesern eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit und ein gutes, gesundes und friedliches neues Jahr 2024!

[1]             Vgl. Meyer, Christoph: Herbert Wehner. Biographie. 4. Aufl. München: dtv, S. 44.

[2]             Vgl. ebd., S. 47-65, zur Verhaftung S. 58, siehe auch Wehner, Herbert (1990): Notizen. In: Ders.: Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942, hg. von Gerhard Jahn. Lizenzausgabe für die DDR. Halle-Leipzig: Mitteldeutscher Verlag, S. 27-273, S. 125f.

[3]             Dokument 20. In: Müller, Reinhard (1993): Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1943. Berlin: Rowohlt, S. 248-252, S. 251.

[4]             Dokument 22. In: Müller 1993, a.a.O., S. 255-301, S. 297.

[5]             Herbert-Wehner-Archiv im AdsD, Nr. 1/HWAA001076. Transkription Wehner, Herbert: „Aufnahme Rias 1951“.

[6]             Vgl. Scheer, Regina (2023): Bittere Brunnen. Hertha Gordon-Walcher und der Traum von der Revolution. 2. Aufl. München: Penguin, S. 601f.

[7]             BStU, MfS-HA IX/11, AS 95/65, Nr. 4, Bll. 719-722. Aktenvermerk der Hauptabteilung IX, Hauptmann Herzog, vom 10.3.1967 (über Befragung von Bruno Goldhammer in Dresden).

Dresdner Freunde in schwerer Zeit
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