Mit Wehner contra Wahl-O-Mat

Grundsätzliches klären tut not

Stiftung ruft zur Bundestagswahl auf

Perspektiven 03/2021, S. 36 (www.gesamtmetall.de)

Überraschung kurz vor den Wahlen: Die Arbeitgeberzeitschrift „Perspektiven“ macht mit Herbert Wehner auf. Zwar nicht vorne auf dem Titel, aber auf der Rückseite des Umschlags. Ein ganzseitiges Foto des großen Sozialdemokraten ziert das Magazin des Arbeitgeberverbands „Gesamtmetall“ – und Wehner kommt auch selbst zu Wort.

„Ein Zitat, das in die heutige Zeit passt“, findet Christoph Meyer, Wehner-Biograph und Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung in Dresden. Letzte Woche hat er für sich den „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung ausgefüllt, und er findet: „Das ist ja ein ganz nettes Instrument, aber eben doch so ein Häkchen- und Kästchenprüfeln an einzelnen Punkten, so richtig hilfreich für meine Wahlentscheidung fand ich das jetzt nicht.“ Denn, so Meyer, bei Wahlentscheidungen geht es nicht nur um die höchstmögliche Übereinstimmung mit einzelnen Programmpunkten, sondern um Grundsätzliches. „Es gibt Fragen, die der ‚Wahl-O-Mat‘ nicht klären kann, zum Beispiel: Wer ist als Kandidatin und Kandidat geeignet, die Regierung zu führen? Welche Grundüberzeugungen vertritt eine Partei – und wie glaubwürdig ist das? Was sind die allerwichtigsten Aufgaben, was ist nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig und kann am Ende machbar gemacht werden? Welche Traditionen verkörpert eine Organisation, die das Land verantwortlich führen will? Wahlprogramme sind da zum Lesen hilfreich, aber sie alleine reichen nicht aus.“

So sah es auch Herbert Wehner, der sagte 1979 – und „Gesamtmetall“ zitiert ihn:

In diesem Sessel redete Wehner 1979 Klartext.

„Ein Programm ist doch kein Katalog. Sobald es anfängt, ein Katalog zu werden, taugt es nicht mehr als Programm, und die Sucht bei den Parteien ist es, Kataloge zu führen. (…) Kataloge in allen Ehren für Käufer und Verkäufer, für Leute, die Stichworte suchen. Programm, das ist ein Programm mit Grundwerten, das ist ein Programm mit einer klaren Zielsetzung.“

Damit meint Herbert Wehner natürlich das Godesberger Programm der SPD von 1959. Zwanzig Jahre später warnte er vor voreiligen Beschlüssen und vor allem vor mit zahlreichen Spiegelstrichen aufgeblähten neuen „Grundsatzprogrammen“. Das Godesberger Programm passte damals auf ein paar Zeitungsseiten. Alle danach verabschiedeten Programme waren deutlich länger – und sie sind in der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben. Hans-Jochen Vogel nannte das Berliner Programm von 1989 einmal, satirisch überspitzt, „das Geheimpapier“. Immerhin: Keines der nachfolgenden Programme hat die Grundentscheidungen von Godesberg in Frage gestellt.

Führungsdetail: Christoph Meyer zeigt Original-Manuskript zum 30.6.1960

Diese sind:

  • Die Sozialdemokratie bekennt sich zur Landesverteidigung – und infolge dessen (so Wehner in seiner Bundestagsrede vom 30. Juni 1960) auch zur aktiven Mitwirkung der Bundesrepublik in den westlichen Bündnissen.
  • Die Sozialdemokratie ist eine Volkspartei, deren Ziel es ist, die Demokratie von der Staatsform zu transformieren zur allgemeinen Lebensform.
  • Die Sozialdemokratie vertritt die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Hiervon ausgehend ist sie weltanschaulich offen.

Diese programmatischen Grundentscheidungen fußen auf den durchaus leidvollen Erfahrungen Wehners und der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Kampf um die Demokratie im 20. Jahrhundert. Sie gilt es auch im 21. Jahrhundert zu verteidigen, zu aktualisieren und umzusetzen.

Herbert ist überall – Widmung von Kurt Schumacher

In diesem Sinne ruft die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung alle Demokratinnen und Demokraten zur Beteiligung an den Bundestagswahlen am 26. September 2021 auf.

Wer mehr zu den Hintergründen wissen will: Auf Youtube gibt es jetzt eine biografische Führung durch die Räume der Stiftung – außerdem weiterhin sehenswert: der Vortrag mit Videosequenz über Herbert Wehners Kampf um und für die Demokratie.

Ja, und wer – mit kleiner Besuchergruppe – in der Stiftung vorbeischauen möchte, ist auf Anfrage (am besten per e-Mail) herzlich willkommen. Corona-Auflage: Voraussetzung ist „2G“ – also genesen/geimpft bzw. vollständig geimpft.

Mit Wehner contra Wahl-O-Mat
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